Feedback von Pixtxa zu AW 28 – Autismus und Freundschaft

Mir fiel als Kind auf, dass mein Bruder im Urlaub meist schnell Freunde fand, während mir das nie so gelang. Und auch daheim hatte er mehr Freunde. Er traf sich meist mittags nach der Schule mit Freunden und war am Wochenende teils nur zum Essen da und dann sofort wieder draußen. Wenn einer keine Zeit hatte, traf er sich halt mit wem anders. Oft hatte er auch paar Freunde da. Ich hingegen hatte kaum Freunde und traf mich eigentlich immer nur mit einem zur gleichen Zeit.

Bei den Geburtstagsfeiern durften wir immer n Freunde einladen, wobei n dem Alter entsprach, das gefeiert wurde. Für ihn war es immer schwer, zu entscheiden, welche n Freunde er einlädt, was mit den Jahren einfacher wurde, für mich war es immer schwer, zu entscheiden, welche n Leute mich genug mögen könnten, was mit den Jahren schwieriger wurde. Bei meinem Kindergeburtstag ließ ich dann auch oft die anderen Kinder spielen, während ich mich in mein Zimmer zurück zog. Die Eltern verstanden das nicht, wie ich Freunde einladen und sie ignorieren kann, aber Im Nachhinein ist es mir natürlich klar, weil die waren ja laut und nicht alle davon waren wirklich Freunde. Manche kamen sie sich vermutlich selbst vor wie das siebte Rad am Wagen. Irgendwann bekam ich dann noch Probleme, dass ich wen einlud, der von einem anderen nicht gemocht wurde, der aber den Großteil meines Freundeskreises kannte und gegen ihn aufstachelte, sodass ich ihn ausladen musste, damit die anderen kommen. Das war dann mein letzter Kindergeburtstag und ich hatte KEINE lust mehr, Geburtstage zu feiern. Wollten die Eltern zwar nicht ganz akzeptieren, aber ich setzte mich durch. War m. E. auch besser so.
In der Schule war ich auch Außenseiter/Einzelgänger. Einige waren vermutlich auch nur mit mir befreundet, weil sie dadurch Vorteile hatten (z. B. nicht alleine aufm Schulweg sein), manche nutzten es auch aus. Ich habe als Kind nie mit einem Gameboy gespielt, weil mich keiner mit seinem spielen ließ und ich keinen hatte.

ALLE Freundschaften sind bei mir von den Anderen ausgehend entstanden, da sie extrovertierter sind als ich, oder wir kamen durch gemeinsame Tätigkeiten/Interessen in Kontakt (Gruppenarbeiten, Online-Foren, Robotik-AG, Ingress, AStA, BuFaTa, Hackerspace, Sicherheitsunterweisung, C3Auti, mit der selben extrovertierten Person befreundet, …) und es entstand daraus eine Freundschaft. Von mir aus entsteht sowas üblicherweise nicht, da ich vor allem früher wenig mit gleichaltrigen anfangen konnte, aber zudem auch nicht weiß, wie ich mit Leuten in Kontakt treten bzw. sie ansprechen soll, mit denen ich gerne Kontakt hätte. Als Kind hörte ich oft, wenn ich jemanden ansprechen sollte “Der wird dich schon nicht beißen”, was mich mehr verunsicherte als beruhigte. Beißt der normalerweise? Warum sollte er für mich ne Ausnahme machen? Kann ich mich wirklich darauf verlassen? Beißen Andere, wenn man sie etwas fragt? Naja, üblicherweise musste dann doch jemand anderes das übernehmen und ich beobachtete es aus sicherer Entfernung bzw. hinter jemandem/etwas stehend. Tatsächlich habe ich nie gesehen, wie jemand wen gebissen hat. Aber man weiß ja nie. NTs fällt das wohl deutlich leichter, die machen das einfach von Natur aus und haben dafür ein Problem damit, wenn auf ihr “Ist aber kalt heute” ein “Nö, mir passt’s”/”Joa, ist normal für diese Jahreszeit”/”Dann zieh dir halt nen Pulli an” oder ähnliches von mir zu hören bekommen bzw. ich auf einfache Nachfragen in tiefere Erklärungen abschweife. Um andere anzusprechen half es mir zwischenzeitlich, zu wissen, dass die mich eh wieder vergessen haben, bis ich der Person wieder mal begegne, aber inzwischen weiß ich, dass nicht alle Leute Prosopagnosie haben und ich hier eben nicht grundsätzlich von mir auf andere schließen kann. Vielleicht gibt es aber auch anderes, woran man mich gut erkennt, mir passierte es jedenfalls noch nie, dass mich wer mit wem verwechselte und mit dem falschen Namen ansprach, während es mir bei manchen Personen mehrfach passierte.

Ein weiteres Problem, Freunde zu finden, liegt wohl auch an meinen Vorlieben/Interessen. Ich mag keinen Kaffee, keinen Alkohol und Rauche nicht, Treffe mich also nicht mit Leuten an der Kaffeemaschine oder in der Raucherpause. Wie Fußballspiele verlaufen und ausgehen, wie Frauen aussehen, was es für Autos gibt, was Stars treiben, schlechte Videos aus WhatsApp-Gruppen und ähnliches interessiert mich auch nicht, sind auch alles Informationen, die man schnell im Internet recherchieren kann. Irgendein überspitztes nachäffen des Verhaltens eines anderen, weil man es komisch findet oder ähnliches Mobbing, um dafür bei anderen toll angesehen werden, ist auch nicht mein Niveau und wenn mir wer ernstgemeint mit “Das d in m/w/d steht für defekt” kommt, habe ich leider auch nicht die Energie, es zu erklären und daraus wird keine Freundschaft. Mit wissenschaftlich nicht haltbaren Verschwörungstheorien und Schwurbeleien kann ich auch nichts anfangen und mache mich bei solchen Leuten als Systemschaf unbeliebt. Und für Cybersecurity, Elektronikentwicklung, technologische Neuigkeiten und wissenschaftliche Tatsachen interessieren sich andere dafür nicht so intensiv.

Was mir auffiel ist auch, dass man bei Facebook und SchülerVZ lange Zeit nur befreundet sein konnte und das auch nur, wenn dem beide Seiten zustimmen. Ich fand das immer etwas blöd, weil Klassenkameraden Bilder posteten und ich in der Schule zwar die Gespräche darüber mitbekam, aber nicht die Bilder sehen konnte, um die es geht. Diese Menschen müssen sich aber nicht dafür interessieren, was ich mache, nur weil ich mich dafür interessiere, was die machen. Und zudem bin ich ja nicht gleich mit jemandem befreundet, nur weil ich die Person kenne. Als dann Google+ kam, fand ich das deutlich besser, denn dort ging das auch einseitig und man konnte Leute in Kreise einsortieren. Ich finde es sinnvoller, wenn ich mit Menschen vernetzt sein kann, ohne mit ihnen “befreundet” zu sein. Zudem konnte man beim Teilen von Beiträgen auch Kreise wählen, mit denen ich etwas (nicht) teilen möchte. Bei Facebook gibt es inzwischen die Freundeslisten, mit denen das so ähnlich gilt. Ich habe da zum Beispiel auch eine “Freundesliste” mit Leuten, die ich nicht mag, die damit weniger sehen als Leute, die mir unbekannt sind. Und auch andere haben da viele “Freunde”, die sie eigentlich gar nicht mögen, sich aber halt aus sozialen Gründen mit ihnen vernetzen müssen (“Ich kann doch die Anfrage meiner Chefin nicht ablehnen!” und ähnliches). Inzwischen habe ich ein Umfeld, das kaum SocialMedia nutzt, habe im Büro ANC-Kopfhörer auf und bin sonst im Homeoffice, so bekomme ich keine Gespräche über für mich unsichtbare Bilder mit und das ist auch okay. Google+ ist tot, Facebook nutze ich auch nicht mehr, Twitter ist zur Zeit auch nicht so toll und auf Mastodon ist noch kaum was los. Aber es scheint mir so, als sei Facebook hauptsächlich bei neurotypischen beliebt. Als Google+ neu war, bekam ich von vielen Klassenkameraden mit, dass sie das nur “befreundet sein” besser finden, als das “in Kreise sortieren”. Die Differenzierung “Freundeskreis”, “Bekanntenkreis”, “Kollegenkreis”, “Klassenkreis”, … fand ich hingegen schlüssiger.

Zwischenzeitlich machte es mich recht fertig, dass mich scheinbar kaum wer mag, inzwischen weiß ich, dass ich selbst gar nicht all zu viel Kontakt vertrage, mir daher nicht so sehr Freunde suche und akzeptiere nun auch, dass es okay ist, selbst wenn soziale Zwänge etwas anderes behaupten und ich mit 27 doch schon längst eine feste Freundin haben müsste. Im Nachhinein betrachtet erkenne ich auch, dass mich wohl durchaus einige mehr mochten, als ich wahrnahm.

Heute habe ich einen recht großen Kreis von Wesen, die ich mag und einen kleinen von Wesen, mit denen ich es sogar schaffe, einigermaßen gut Kontakt zu halten. Einen Großteil davon traf ich bereits ohne Pandemie meist online und einige sogar noch nie offline. Eine feste Linie zwischen “Freunde” und “Keine Freunde” kann ich aber nicht finden. NTs sagten gerne mal, Online-Freunde seien keine echten Freunde, aber sie sagen auch Dinge wie “Ich kann mich jetzt nicht mit X treffen, weil ich in zwei Stunden bei Y sein muss.”, “Ich muss aufräumen, sonst kann ich mich ja mit niemandem treffen.” und “Lass uns zu [lautes Lokal wo ein Glas Wasser paar Euro kostet] gehen.”. Inzwischen kann man aber auch viele NTs online treffen. Bei manchen ist das toll, bei einigen nicht.

Am Besten geht es mir nach wie vor, wenn ich mich mit nur einer Person auf einmal treffe, aber auch Situationen mit mehreren sind okay. Nervig wird es, wenn mitten im Gespräch eine weitere Person hinzukommt und vom Thema noch keine Ahnung hat.